Wie ich Mrs. Watson kennenlernte
Reisebericht vom ICCCR 2012 in England by Tom Bair
In den diversen Terminkalendern las ich, dass die ICCCR 2012 in Yorkshire stattfinden sollte. Yorkshire, England, das weckt sofort die Assoziationen: liebliche Landschaft, humorvolle Menschen, traumhaftes Wetter, schmackhaftes Essen (das konnte man zumindest der ICCCR Ankündigung entnehmen). Mein Interesse war geweckt. Erste Bekanntschaft mit Organisatoren und landestypischen Speisen konnte ich bereits im Mai 2011 auf der Citromobile² machen. Very british.
Die Erinnerung an den Erdkundeunterricht sagte mir, dass zwischen Deutschland und England keine direkte Straßenverbindung existiert, sondern ein Gewässer zu über- oder unterqueren sei. Eine erste Orientierung ob der Fährpreise ließ die favorisierte Nachtfähre von Rotterdam nach Hull für Ente, Anhänger, Sohn und mich ausscheiden. Die von Lukas und Jim Knopf seinerzeit angewandte Methode des Kalfaterns und eigenhändigen Navigierens schien mir selbst für ein nach einem Wasservogel benanntes Fahrzeug nur bedingt geeignet zu sein. Da ich mit den oben genannten Fahrzeugen am Treffen teilnehmen wollte, schied auch die sicherlich billigste Variante, die des Flugs, aus. Letztlich entschied ich mich für die relativ preisgünstige Fähre von Dünkirchen nach Dover; der (weite) Weg ist das Ziel.
Am 7. August starteten wir in der sprichwörtlichen Herrgottsfrühe, galt es doch bis 11 Uhr die rund 400 Kilometer bis zur Fähre zurückzulegen. Selbiges gelang uns ohne Probleme, wir hatten leider sogar noch Zeit, im Terminal einen Automaten-Capuccino zu trinken. Die zweistündige Überfahrt ist zumindest für Freunde von Spielautomaten und überteuerten Speisen ein Genuss. Aber der Anblick der Kreidefelsen von Dover stimmte uns wieder versöhnlich. Nach den Erfahrungen von Salbris wollte ich möglichst schnell zum Treffengelände nach Harrogate gelangen, um dort noch ein akzeptables Plätzchen zu ergattern. Daher wählte ich Motorway und Autobahn (Asche auf mein Haupt), um am ersten Tag möglichst noch den Großraum London hinter uns zu lassen (die Olympischen Spiele waren noch in vollem Gange). In Sandy fanden wir Bed and (complete british) Breakfast bei einer bezaubernden Lady. Zum Abendessen entschieden wir uns für Fish and Chips in der örtlichen Frittenschmiede. Fehler sind dazu da, um daraus zu lernen!
Am nächsten Tag ging es gleichsam eilig weiter in den Norden. Die schnelle Fahrt hat auch dem Entchen nicht so gut gefallen, das Getriebe meldete sich mit ungesunden Geräuschen und der Gaszug hing. Nichtsdestotrotz erreichten wir wohlbehalten das Treffengelände. Entgegen meiner Befürchtungen war noch reichlich Platz. Während wir nach einer schönen Stelle Ausschau hielten, stürmte ein mit Fotoapparat bewaffneter Mensch auf uns zu, der unschwer als Harald G. aus E. (Lesern des Entenschnabels nicht gänzlich unbekannt) zu identifizieren war. Claudia und er empfahlen uns, sich neben sie auf eine Anhöhe zu stellen, von wo aus ein guter Blick über das Camping-Gelände gesichert war.
Das Gelände war beeindruckend, groß und gut ausgestattet. Wohl in erster Linie für Präsentationen von Milch- statt Federvieh gedacht gab es reichlich Platz, sanitäre Anlagen (zwar einfach aber stets funktionstüchtig und sauber) sowie Veranstaltungsgebäude. In selbigen gab es einen Teilemarkt, ein Museum mit faszinierenden Prototypen der Marke mit dem Doppelwinkel, eine Werkstatt, allabendliche Musikveranstaltungen und eine „Real Ale Bar“ mit diversen lokalen Biersorten vom (leider nur durch nasse Tücher gekühlten) Fass zum Durchprobieren, was manche wohl auch erfolgreich getan haben. Direkt an der Zufahrt zum Gelände befindet sich ein Supermarkt, in dem lebenserhaltende wie auch vergessene Artikel pfundweise käuflich waren. Auch die Treffenteilnehmer aus aller Herren Länder waren interessant. Hauptsächlich Traction, DS + ID sowie 2 CV, aber auch alle anderen Citroën-Typen. Darunter auch etliche Vorkriegsmodelle inklusive Halbkettenfahrzeuge. Es ist schon erstaunlich, was dieses Unternehmen alles hervorgebracht hat und auch, was manche Individualisten nun wiederum daraus gebaut haben.
Vom Platz aus fuhr ein, natürlich altere, Doppeldeckerbus nach Harrogate. Dies nutzen wir zu einer Besichtigung der Stadt sowie einer eintägigen Zugreise nach York, mit Zwischenstopp im malerischen Knaresborough. An den übrigen Tagen genossen wir den strahlenden Sonnenschein, um über das Veranstaltungsgelände zu flanieren und die Fahrzeuge zu bestaunen.
Für die sonntägliche erste Etappe unserer viertägigen Rückfahrt planten wir eine schöne Route über kleinste Sträßchen. Bei herrlichem Wetter bauten wir unser Lager ab, das Entchen fuhr ohne Klagelaute los, wir drehten noch stolz eine Ehrenrunde über das Treffengelände und reihten uns in die Ausfahrtschlange auf der auf die Hauptstraße führende Zufahrtstraße ein. Da in England die Supermärkte auch Sonntags geöffnet sind, war dort noch mehr Verkehr als an Wochentagen. Endlich wurde die Ampel wieder grün und wir konnten die Entenmuskeln spielen lassen. Mrs. Watson, Fahrerin des vor uns wartenden Renault Clio, (er-)kannte, im Gegensatz zu mir, der ich tatü-tata gewohnt bin, das huihui der britischen Ambulanz eher als ich, ihr Renault verfügt wahrscheinlich über bessere Bremsen als mein 2 CV und Mrs. Watsons Sonntagseinkauf kam gewichtsmäßig nicht ansatzweise an unser Urlaubsgepäck samt Schlafanhänger heran. Es war unfair! Die minutenlangen Zehntelsekunden, in denen der Aufprall sicher und unausweichlich feststand, werde ich nicht vergessen. Das knitternde Motorhaubenblech und das Verstummen des fröhlichen Boxermotors trübt seitdem unsere Erinnerung an das 15th ICCCR in Harrogate.
Die schlechte Nachricht: Die Ente war definitiv in ihrer Automobilität eingeschränkt.
Aber nun zu den guten Nachrichten:
kein Mensch wurde verletzt,
Mrs. Watson war sehr freundlich, ebenso wir ihr Gemahl, den sie zur weiteren Klärung holte.
Ein britischer Treffenteilnehmer sah vom Pendelbus aus, dass ein Unfall passiert war. Er eilte herbei und bot uns seine Hilfe an. Einer der Organisatoren schleppte unser Gespann zurück zum Platz.
Dort sahen uns Claudia und Harald, der vorschlug, statt in die Werkstatt nur in deren Nähe zu schleppen, um die Reparatur zunächst selbst zu versuchen. Hier gesellte sich auch Hägar zu uns. Ehe ich es realisierte (ja ich weiß, das ist eine dehnbare Zeitangabe), hatte Hägar die Motorhaube abgebaut und durch drei gekonnte Fußtritte wieder in Form gebracht. Harald stürmte los, um ein neues Lüfterrad zu besorgen. Dieses und ein neuer Keilriemen waren innerhalb kurzer Zeit eingebaut und eine Probefahrt konnte durchgeführt werden. Dabei mussten wir jedoch eine gewisse Inkontinenz³ des Getriebes feststellen. Flugs war der Motor gelöst und vorgezogen. Der Grund des Übels war ein Loch im hinteren Getriebedeckel, der beim Aufprall offensichtlich auf eine der Befestigungsschrauben der Spurstange geprallt war.
Ein holländischer Händler hatte ein komplettes Getriebe am Stand, dass er für einen stolzen Preis zu verkaufen suchte. Der britische 2 CV Club hatte zwar keinen Getriebedeckel am Platz, hätte aber bis Montag Mittag einen beschaffen können. Dies hätte wiederum mit Hägars Reiseplanung kollidiert, so dass wir doch dem Holländer erfolgreich nur den Getriebedeckel samt Getriebeöl abkaufen konnten. Durch Hägars Spezialkonstruktion gelangte das Öl nach Montage des Deckels ins Getriebe, alles wurde wieder zusammengebaut und, wie sagte doch schon Galileo Galilei:
Sie bewegt sich doch!
Liebe Claudia, lieber Harald, lieber Hägar, vielen Dank für Eure technische Hilfe und insbesondere dir, liebe Claudia, vielen Dank für Deine psychologische Hilfe. Durch Euch sind wir dem gelben Wagen noch mal von der Pritsche gesprungen.
Damit war der Sonntag Nachmittag mit einem ungeplanten Programmpunkt ausgefüllt, dessen zweiten Teil ich zwar sehr positiv erinnere, auf dessen ersten Teil ich aber gerne verzichtet hätte. Wir schlugen unser Lager wieder neben Claudia und Harald auf. Und dann kam der zweite Höhepunkt des Tages:
The Ukulele Orchestra of Great Britain
Acht begnadete Briten, die den Saal zum Toben brachten. Hört mal rein, besucht ein Konzert, sie touren auch durch Deutschland.
Am Montag bauten wir wieder ab, fuhren VORSICHTIG und mit gespitzten Ohren an der Einmündung auf die Hauptstraße und, gezwungenermaßen wieder über Schnellstraßen, nach Grantham, wo wir mit Peter zum Mittagessen verabredet waren. Wir speisten gut und reichlich in einem Pub, Peter bot uns noch eine kleine Stadtrundfahrt und zeigte auch die Kings School, in der man insbesondere auf „Wandmalereien“ des kleinen Isaac Newton stolz ist. (Als Ähnliches kürzlich an der Schule meines Sohnes passierte, drohte man mit Schulverweis. Ob man so Nobelpreisträger heranzieht?)
Gemütlich kurvten wir weiter über Land, übernachteten in Whittlesey (das muss man nicht kennen), um am nächsten Tag südlich von Sandwich in Worth Bed and Breakfast zu genießen. Auch hier verlief der abendliche Pub-Besuch wohlschmeckend. Auf dem kurzen Weg nach Dover machten wir noch einen kleinen Abstecher nach St. Margaret’s at Cliffe. Die Überfahrt bei warmen Temperaturen war recht angenehm und auch die weitere Heimreise auf dem Kontinent verlief unspektakulär.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Fahrt gelohnt hat. Wir haben viel gesehen und erlebt und viele sehr nette Menschen kennengelernt. Das englische Essen kann deutlich besser sein als sein Ruf und die Färbung unserer Haut erfolgte durch die Sonneneinstrahlung, nicht durch Rosten! Wir freuen uns schon auf die ICCCR 2016 in den Niederlanden.
Tom von den Düssel-Ducks
Anmerkungren der Redaktion
² eine interessante frühjährliche CITROEN-Messe in den Niederlanden
³ die erfahrene Redaktion empfiehlt die Goldrute.